Samstag, 21. Oktober 2017

Beten in der Öffentlichkeit

Beten war wichtig für mich als Kind. Später hatte ich es dann mehr oder weniger verlernt. Zudem war beten etwas ganz privates (ich bin evangelisch-reformiert). Ich hatte immer meine katholischen Mitmenschen bewundert. Die konnten sich vor die Maria hinstellen, sich bekreuzigen und dann die richtigen Texte halblaut herunterleiern. Das tönt etwas böse. Ich weiss, dass diese Gebete, für viele Gläubige von tiefer Bedeutung sind.

Kerzen anzünden, sich hinknien oder flach auf die Erde legen! Wie wunderbar!

Das Ritual kann ein Teil des Gebetes sein und wahrscheinlich spüren viele Gläubige durch die Ausführung des Rituals mehr als durch eine "Gebetstextanalyse".

Mittlerweilen brennt bei uns auch oft eine Kerze und heilige Steine liegen auf dem Esstisch...

Aber beten in der Öffentlichkeit? Nein, das geht überhaupt nicht! Bevor ich einen Baum umarme schaue ich dreimal, ob wirklich niemand da ist (ich meine die normalen Menschen).

Natürlich kann man sich innerlich rein geistig verbinden und ein paar schöne Worte des Dankes denken.

So, jetzt verrate ich euch, wie ich in aller Öffentlichkeit inklusive Ritual bete und ohne dabei rot zu werden!

Vor mir steht ein Teller voller Essen, schön anzusehen, und ich möchte ein Tischgebet sprechen. Ich nehme mein Mobile, tippe das wunderschöne Passwort und aktiviere die Kamera App. Von diesem Moment an bin ich völlig weg und unansprechbar. Nun kann ich einfach gleich knipsen oder zuerst noch ein bisschen am Mobile herumhantieren oder den Teller und seine Umgebung ein wenig zurecht rücken. Es ist wie das Schmücken des Altars für Lord Vishnu. Vielleicht fehlt eine Kerze oder ein Farbtupfer. Dann lade ich die Götter und Naturwesen ein, ihren Teil abzuholen. Letztere sieht man manchmal am herumschnuppern an den Speisen. Dann folgt irgend einmal der finale Klick, das "Amen". Nun kann gegessen werden. All die vielen Bemerkungen, ob das Foto jetzt schon auf Facebook sei und ob nun alle im Dorf wüssten was es bei uns zu essen gibt, das höre ich schon gar nicht mehr. Wichtig ist mir nur, dass ich mich verbinden konnte. Mit dem Essen und allen, die da sind.

Anmerkung: ich poste nur einen sehr kleinen Teil meiner Photos und Texte. Aber ab und zu muss auch das sein!

Zudem ist der Moment des photographierens ein Moment höchster Aufmerksamkeit. Was ich bewusst photographiert habe, das vergesse ich in einem gewissen Sinne nicht mehr.

Photographieren heisst für mich, mit den Dingen sprechen. Man begrüsst sich, fragt um Photoerlaubnis, spricht ein paar Worte oder Bilder und dann verabschiede ich mich wieder.

(21.10.2017)




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